Gastlichkeits-Branchenblick 131
vom 08. Juli 2014
1. Kastrierte Kettenhotellerie
2. Videoblog: Den Gast „lesen“
3. Story: Der Korb des alten Mannes
4. Falsche Standards
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1. Die kastrierte Kettenhotellerie ist der Untergang der guten Hotellerie
Ein provokanter Titel, ich weiß. Aber das Thema ist so dringend, dass es mir angemessen erscheint.
Kettenhotels und leider auch oft Stadthotels haben aufgehört sexy zu sein. Sie machen eher den Eindruck eines kastrierten Daseins. Wo früher Inspiration und Leidenschaft zu spüren war, regieren heute Gleichgültigkeit und Geschäftstüchtigkeit. Der Gast wird nicht mehr als Mensch wahrgenommen, sondern eher als wandelnder Euroschein, als Umsatzbringer, aus dem es das Maximale an Umsatz herauszupressen gilt. Natürlich gibt es auch positive Ausnahmen, leider überwiegen aber die negativen Beispiele deutlich.
Da schalten Sie den Fernseher am Zimmer ein und als erstes sehen Sie die Angebote der hauseigenen Videothek. Pikanterweise ist dann auch noch angeführt, dass Pornofilme nicht als solche auf der Rechnung aufscheinen werden, sondern diskret umbenannt werden. (Na dann …) Mitunter benötigt man da schon ein halbes Technikstudium, um aus dem Tastenlabyrinth heraus zu finden und zum regulären Fernsehprogramm zu kommen. Gibt es wirklich noch Gäste, denen das nicht bitter aufstößt, wenn man so plump versucht, noch zusätzlichen Umsatz aus dem Gast herauszupressen?
Oder die Minibar. Wundern Sie sich auch, warum diese Preise astronomische Stellenwerte haben? Warum eine simple Flasche Wasser plötzlich mehr als 5 Euro kostet?
Ich hatte beruflich in Erfurt zu tun und war in einem Vier-Sterne-Kettenhotel untergebracht. (Nein, ich habe es nicht selbst gebucht, sondern der Veranstalter hat dies für mich erledigt.) Die Anreise war lang und der Verkehr zäh. Müde kam ich erst gegen Mitternacht an und freute mich aufs Bett. Natürlich müssen erst die Formalitäten an der Rezeption erledigt werden. Das ist ja so vorgesehen, dass der Gast erst seinen Verpflichtungen nachkommen muss, bevor man ihm den Zimmerschlüssel aushändigt. Ein kurzer Fingerzeig in Richtung Fahrstuhl und keine Anstalten mit dem Gepäck zu helfen. Also machte ich mich mit meinem Zeugs auf den Weg zum Zimmer. Als ich schließlich die Türe hinter mich gebracht hatte, stellte ich ab und sah mich um. Da ein Lichtblick! Eine Flasche Mineralwasser wartete auf den durstigen Gast. Freudig schraubte ich den Verschluss auf, goss ins Glas, trank und … traute meinen Augen nicht. Da hing doch tatsächlich ein kleines Schild am Flaschenhals. „Herzlich Willkommen“ war da zu lesen und darunter handschriftlich 5, 50 Euro. Na dann Prost! Natürlich war mir das einen Eintrag auf Facebook wert. Schließlich soll die Welt wissen, wie nötig man hier den Umsatz braucht.
Der Gast wird in solchen Etablissements – von Hotel will ich hier nicht sprechen, weil die Eindeutigkeit der Animierung in Richtung eines anderen Gewerbes zeigt – als reine Funktion gesehen. Die Menschlichkeit wird ihm aberkannt. Es regiert der schnöde Mammon. Dabei sagte schon Immanuel Kant: „Der Mensch darf niemals einem Zwecke untergeordnet werden, sonst verliert er seine Würde!“ Und genau das passiert hier. Der Mensch wird lediglich an seinem Umsatz gemessen und die menschliche Würde mit Füßen getreten. Die Chefetagen dieser Häuser vergessen darauf, dass der Gast in erster Linie Mensch ist und als solcher mit Anstand, Respekt und Wertschätzung behandelt werden will.
2. Video-Blog
Qualität aus der Sicht des Gastes bedeutet, dass seine Erwartungen zumindest erfüllt werden. Diese Erwartungen teilt er uns aber in der Regel nicht mit, sondern er geht davon aus, dass wir sowieso wissen müssen, wir es es gern hat. Gäste erwarten heute vermehrt eine individuelle Betreuung. Den Gast „lesen“ lautet deshalb die Herausforderung. Zu ahnen, was diesen – ja genau diesen einen – Gast glücklich macht.
Hier sehen Sie einen Videoblog zu diesem Thema.
Weitere Kurzfilme finden Sie hier …
3. Story: Der Korb des alten Mannes
Es war einmal ein Waisenjunge. Er zog von Dorf zu Dorf, immer auf der Suche nach etwas Essbarem und einem Dach über dem Kopf. Eines Tages traf der Junge auf einen alten Mann, der ebenfalls von Dorf zu Dorf wanderte. Sie beschlossen, gemeinsam weiterzugehen.
Der alte Mann trug einen großen, zugedeckten Weidenkorb, der offenbar sehr schwer war, denn der Alte lief tief gebeugt und stöhnte hin und wieder unter der Last. Als sie Rast an einem Bach machten, stellte der alte Mann seinen Korb erschöpft auf den Boden. Der Junge fragte „Soll ich deinen Korb für dich tragen?“
„Nein,“ antwortete der Alte, „den Korb kannst du nicht für mich tragen. Ich muss ihn ganz allein tragen.“
„Was ist denn in dem Korb?“ fragte der Junge, doch er erhielt keine Antwort. Viele Tage wanderten die beiden gemeinsam. Nachts, wenn der Alte glaubte, dass der Junge schlief, kramte er in seinem Korb herum und sprach leise mit sich selbst.
Es kam der Tag, an dem der alte Mann nicht mehr weitergehen konnte. Er legte sich nieder, um zu sterben. Und er sprach zu dem Jungen: „Du wolltest wissen, was in meinem Korb ist, nicht wahr? In diesem Korb sind all die Dinge, die ich von mir selbst glaubte und die nicht stimmten. Es sind die Steine, die mir meine Reise erschwerten. Auf meinem Rücken habe ich die Last jedes Kieselsteines des Zweifels, jedes Sandkorn der Unsicherheit und jeden Mühlstein des Irrwegs getragen, die ich Laufe meines Lebens gesammelt habe. Aber ach – ohne sie hätte ich so viel weiter kommen können, im Leben. Statt meine Träume zu verwirklichen, bin ich nun nur hier angekommen.“ Und er schloss die Augen und starb.
Der Junge ging zu dem Korb und hob den Deckel ab. Der Korb, der den alten Mann so lange niedergedrückt hatte, war leer.
Quelle: Geschichtensammlung von Rainer Lenzenweger, Akademischer Trainer
4. Falsche Standards als Grund allen Übels
Damit Sie mich nicht falsch verstehen: ich bin kein absoluter Gegner von Standards. Wenn ein neuer Mitarbeiter ins Haus kommt, dann sollen nützliche Standards helfen, seine Arbeit relativ rasch auf ein bestimmtes Niveau zu hieven. Sobald er die Standards aber in seine tägliche Arbeit integriert hat, muss er diese Standards auch brechen. Weil es vielleicht gerade diese Situation bei genau diesem Gast erfordert.
Leider arbeiten Kettenhotels mit einem anderen Fokus. Es soll der Eindruck beim Gast entstehen, dass alle Mitarbeiter die gleiche Professionalität haben. Also werden zum Beispiel an der Rezeption sogar Sätze vorgegeben. Was der Mitarbeiter in bestimmten Situationen zum Gast zu sagen hat. Diese sterilen Sätze werden vorgeschrieben und meist sogar noch geprüft. „Guten Tag lieber Herr Huber, hatten Sie eine angenehme Anreise?“ Anstatt die Antwort abzuwarten stürzt sich die Rezeptionistin auf die Tastatur und hämmert wild darauf los, um die Ankunft des Gastes möglichst rasch abzuwickeln. Sollte man da nicht besser einen Sprachcomputer aufstellen? Mit einem Schild: „Lieber Gast wollen Sie um die Anreise gefragt werden, dann drücken Sie bitte den blauen Knopf!“ Das wäre wenigstens ehrlich.
Mir hat eine ehemalige Mitarbeiterin eines sehr bekannten deutschen Kettenhotels erzählt, dass sie solche Standardsätze immer wieder aufsagen musste. Diese Sätze wurden sogar monatlich – wie in der Schule – abgeprüft. Besteht man diese „Prüfung“ nicht, gibt es erst eine Ermahnung und im Wiederholungsfall ist ein Teil der monatlichen Leistungsprämie dahin.
Wer denkt sich denn solchen Unsinn aus und vor allem warum? Die Antwort liegt in der Kompetenz. „Es ist so schwer gute Mitarbeiter zu finden. Jetzt müssen wir eben aus dem vorhanden Material das Beste machen!“, lautet ein Originalzitat eines Hoteldirektors in Wien. Ja, er hat wirklich seine Mitarbeiter als „Material“ bezeichnet. Dass sich hier der Hund in den eigenen Schwanz beißt, hat er wohl nicht erkannt.
Warum meiden die wirklich guten, leistungswilligen Mitarbeiter solche Unternehmen? Weil man dort bevormundet und von vornherein als unfähig angesehen wird. Einem fähigen Mitarbeiter, der sich aufrichtig um den Gast bemüht, wird man doch keine Plastiksätze aufsagen lassen müssen. Der würde doch wissen, wie man sich im Umgang mit dem Gast ausdrückt. Vor allem würde ein fähiger Mitarbeiter so kommunizieren, dass der Gast sich gut aufgehoben und umsorgt fühlt. Wenn man fähige Mitarbeiter allerdings zu reinen Statisten und Erfüllungsgehilfen degradiert darf man sich nicht wundern, dass man sich schwer tut, gute Leute ins Unternehmen zu bekommen. Nur zur Sicherheit, damit sie mich nicht falsch verstehen. Natürlich gibt es auch gute Mitarbeiter in Ketten- und Stadthotels. Allerdings deutlich weniger als ich in Ferienhotels erlebt habe.
Die besten Mitarbeiter können sich doch bereits heute aussuchen, wo sie arbeiten wollen, was sie arbeiten wollen und wieviel Geld sie dafür haben möchten. Die besten wägen sehr sorgfältig ab, welchem Unternehmen sie ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Ab und an erklärt sich so ein Meister sogar bereit einige Monate unter derartigen Bedingen in der Stadthotellerie zu arbeiten, weil er das entsprechende Arbeitszeugnis in seinem Lebenslauf haben möchte. Also dient er seine Monate – mehr sind es in der Regel nicht – ab und sucht dann schleunigst das Weite.
Wer allerdings davon ausgeht, dass seine Mitarbeiter grundsätzlich unfähig und faul sind, der muss natürlich dafür sorgen, dass sie zumindest gewisse Mindestanforderungen erfüllen – mit sinnentleerten Standards.
G a s t freundliche Grüße aus Leonding
Gastlichkeit & Co –
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