+
Wer führt, darf nicht coachen!
+
Führungskräfte, die coachen, kriegen Probleme
Die Führungskraft als Coach? Ein schöner Gedanke. Der Vorgesetzte coacht, und schon steigen Motivation und Produktivität der Mitarbeiter um 100 Prozent. Mindestens. Das hoffen zumindest Geschäftsführer, P-Entwickler, manchmal auch Trainer und möglicherweise die Führungskraft selbst. Letztere nie länger als drei Tage. Danach wird nämlich jedem Vorgesetzten klar, dass das so nicht funktioniert. Das sagen die Führungskräfte auch – hinter vorgehaltener Hand: „Hab’s versucht. Bei uns klappt das nicht.“ „Ich hab’s satt. Seit ich Coach bin, kotzt sich jeder bei mir aus.“ „Das Feedback meiner Mitarbeiter war klar: ‚Hör mit dem Psycho-Gesülze auf und sag endlich, was wir tun sollen. Du bist nicht Mutter Theresa.‘“ Um Missverständnissen vorzubeugen: Diese unerquicklichen Erfahrungen machen nicht alle Führungskräfte. Nur ungefähr 90 Prozent. Was läuft schief?
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.
Ein richtiger Coach, der in der freien Wirtschaft als Coach sein Geld verdient, hat in der Regel eine mehrmonatige Ausbildung. Es gilt die Ungleichung: Coach-Ausbildung < 15 Intervall-Tage binnen einem Jahr = vergiss es. Jeder, der mit weniger Ausbildung startet, ist wie der Bodensee-Skipper, der plötzlich einen 500.000 BRT-Öltanker steuern soll: Schiffbruch. Mit einer zu kurzen Ausbildung kann man nicht coachen. Jedenfalls macht es keinen Spaß und es liefert auch keine beständigen und guten Ergebnisse.
Der Berg geht nicht zu Moses.
Ein eherner Coaching-Grundsatz lautet: „Wer nicht gecoacht werden will, wird nicht gecoacht.“ Chefs beispielsweise gehen zum Coach, wenn sie professionell unterstützt werden wollen. Mitarbeiter sollen gecoacht werden. Nach dem leider häufig praktizierten Motto: „Hurra, ich bin jetzt Coach, jetzt wird gecoacht!“ Reaktion? „Der Anfall geht vorüber wie MbO, Lean und KVP auch. Wir kennen unseren Chef.“ Also erst mal aussitzen. Das gibt sich nach sechs bis acht Wochen, wenn der Chef nur hartnäckig genug seine Coaching-Dienste anträgt. Aber das tut er nicht. Warum nicht? Siehe 1. Die meisten Chefs geben Coaching auf, bevor es überhaupt wirken kann. Schade ums Geld und den Ruf des verantwortlichen P-Entwicklers.
Coaching macht neurotisch!
Wer coacht, ist unheimlich dicht auf den Emotionen, Ängsten, Sorgen, Blockaden und privaten Problemchen der Mitarbeiter drauf. Das zehrt an den Nerven bis in die Neurose hinein: „Hab ich nun einen Arbeitsvertrag oder einen Therapievertrag mit meinen Mitarbeitern?“ „Ich mach doch nicht den Seelenklempner. Bevor ich den Hund zum Jagen trage, beiß ich das Karnickel selber!“
Schönwetter-Methode.
Ohne Zweifel: Coaching funktioniert. Wenn alles glatt läuft. Sobald etwas schief läuft, sobald Zeitdruck auftritt oder eine Panne oder der Kunde Druck macht, setzt der Führungsreflex ein: zurück zur Peitsche. Ein Abteilungsleiter verriet mir: „Coaching ist Schönwetter-Management. Nicht krisentauglich. Das funktioniert nur bei Friede, Freude, Eierkuchen.“
Das stimmt natürlich nicht. Aber keiner sagt das dem Abteilungsleiter. Weil niemand da ist, es ihm zu sagen. Jeder Coach in der freien Wirtschaft hat selber einen Coach oder Supervisor, der ihm weiterhilft, wenn’s klemmt, wenn er an seine Grenzen stößt, wenn ein Coachee besonders hartleibig ist. In Firmen, in denen Führungskräfte diesen Coach-Coach nicht haben, scheitert das Konzept. In 10 Prozent der Firmen gelingt es den verantwortlichen P-Entwicklern dagegen, die Geschäftsführung von der Unsinnigkeit eines Stand-alone-Coaching-Konzeptes zu überzeugen und (mindestens) einen Supervisor zu verpflichten. In etlichen Fällen kommen die Führungskräfte von alleine auf den Trichter und holen sich selbst einen Coach.
Eine Bereichsleiterin sagte mir: „Coaching funktioniert nur mit Rückendeckung.“ Einmal im Monat holt sie sich diese. Wir sprechen einige Stunden darüber, wie sie den Widerstand der Mitarbeiter gegen die „neue Idee“ des Coaching überwindet, wie sie die Grenze zwischen Coaching und Therapie zieht, um nicht als Abfalleimer für die privaten Problemchen ihrer Leute missbraucht zu werden, was sie bei überraschend auftauchenden Problemen tun kann – und die tauchen beim Coaching immer auf.
Um in diesem Zusammenhang ein bei der Coach-Auswahl grassierendes Missverständnis zu beseitigen: Ein externer Coach für Führungskräfte braucht keine vertiefte Branchenkenntnis. Aber er braucht eine solide Ausbildung, langjährige Erfahrung, gute Erreichbarkeit und auf alle Fälle selbst Führungserfahrung.
Doch es geht noch einfacher.
Viele Firmen pfeifen auf das Konzept „Führungskraft als Coach“, weil sie ihre Führungskräfte nicht als Belegschaftstherapeuten missbrauchen wollen. Sie halten sich lieber, wie zum Beispiel Daimler-Benz, eine Reihe externer Coaches. Man nennt das Coaching-Pool. Aus diesem darf sich jeder Vorgesetzte und jeder Mitarbeiter bedienen, der Bedarf (und Autorisierung) hat. Sagt der Geschäftsführer eines Software-Hauses: „Meine Führungskräfte sollen sich nicht auch noch damit belasten. Das sollen Leute machen, die darauf spezialisiert sind.“
Quelle: http://www.woelkner.com/artikel/coachen_.htm